Kurz vor dem Amtsantritt von Ivo Hasler (SP) als Sozialvorstand deckte eine Untersuchung gravierende Missstände im Dübendorfer Sozialwesen auf. Ein Rückblick auf schwierige Tage – und die Frage: Wie räumt man einen Trümmerhaufen auf?
Thomas Bacher: Herr Hasler, vor dreieinhalb Jahren hat eine Administrativ untersuchung gravierende Missstände in der Dübendorfer Sozialhilfe dokumentiert. Sie haben wenige Monate später ihr Amt als Sozialvorstand angetreten. Was haben Sie angetroffen?
Ivo Hasler: Ich kannte als Aussenstehender nur den Bericht und war deshalb auf einiges gefasst. Allerdings waren bei meinem Amtsantritt schon einige Änderungen vollzogen worden. Die Stadt war bereits wieder in der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (Skos), die unklaren Zuständigkeiten und Kompetenzen zwischen Stadtrat und Sozialbehörde waren geregelt. Ebenso konnten wichtige Leitungsfunktionen bereits neu besetzt werden. Schon länger gekündigt war der Vertrag mit der Sozialdetektei.
Sie waren der neu gewählte Stadtrat, der nach aussen die politische Verantwortung für die Aufräumarbeiten im städtischen Sozialwesen trägt.
Es hat sicherlich geholfen, dass jemand mit einer klaren Grund haltung das Amt antritt. Aber die städtische Sozialhilfe ist nur ein Teil im ganzen System der so zialen Sicherung. Es wird ergänzt mit den Angeboten der Kirchen oder der sozialen Organisationen und freiwilligen Helfer. Diese Akteure hatten während vieler Jahre keine richtigen Ansprechpartner, oder der Kontakt war ganz abgebrochen. Es herrschte ein grosser Nachholbedarf, weshalb ich in den ersten Wochen sehr viele Gespräche geführt habe, um neue Signale zu setzen und verlorenes Vertrauen aufzubauen.
Wie wurden Sie von den Mitarbeitern der städtischen Sozialhilfe empfangen?
Mir wurde viel Offenheit entgegengebracht, und es gab von Anfang an eine grosse Bereitschaft, Veränderungen umzusetzen.
Auf Mitarbeiterebene muss es aber noch mehrere Personen gegeben haben, die das frühere System unterstützt oder zumindest mitgetragen hatten. Gab es da weitere Kündigungen?
Der Kulturwandel hat in einigen Fällen dazu geführt, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich in diesem neuen Umfeld nicht mehr gesehen haben, ihre Konsequenzen gezogen haben.
Laut dem kürzlich publizierten Abschlussbericht ist die personelle Situation aktuell angespannt.
Das stimmt. Es ist nicht einfach, denn das Sozialamt Dübendorf hatte natürlich einen sehr schlechten Ruf. Zudem rekrutieren wir in einem Segment, in dem ein Fach kräftemangel herrscht. Dazu kommt, dass die Herausforderungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht einfach sind: Sie müssen das Tagesgeschäft bewältigen und gleichzeitig mithelfen, den Transformationsprozess zu vollziehen. Das braucht ein dickes Fell. Wir machen das bei Bewerbungen stets transparent, und es zeigt sich, dass die Fluktuation ab genommen hat. Wir erhalten heute mehr Bewerbungen von qualifizierten Fachpersonen als in der ersten Zeit nach der Administrativuntersuchung.
Wie viele schlaflose Nächte hatten Sie in den Monaten nach Ihrem Amtsantritt?
Keine. Ich wusste ja, dass es nicht einfach werden würde. Aber man fühlte sich oft schon wie in einem Hamsterrad, machte zwei Schritte vorwärts und wieder einen zurück. Und auch heute ist es für alle Beteiligten noch sehr streng. Doch wenn man innehält, sieht man die erreichten Fortschritte. Und das motiviert.
Auch abgesehen von den offensichtlichen personellen Fehlbesetzungen war der Untersuchungsbericht über die Arbeit im Sozialbereich Dübendorf vernichtend, was Organisation und Haltung betrifft. Was waren die grössten Baustellen?
Wir mussten im Gesamtgefüge der Sozialhilfe die Ausrichtung und die Verantwortlichkeiten komplett neu regeln. Auf jeder Stufe müssen Leute sein, die ihre Kompetenzen, aber auch ihre Grenzen kennen. Und diese Personen müssen die richtigen beruflichen Fähigkeiten besitzen, um ihre Arbeit auszuführen. Das gab es früher nicht, was ein wesentlicher Grund war, wieso es nicht funktioniert hat.
Weitere Grossbaustellen?
Wesentlich war auch der Aufbau eines klaren Beschwerdewesens. Allein die Möglichkeit, bei strittigen Entscheiden eine weitere Instanz zur Beurteilung herbeizuziehen, verringert bei Klienten das Gefühl, dem Personal auf dem Amt willkürlich ausgesetzt zu sein. Das schafft Vertrauen und hat Ruhe reingebracht. Auch das war in dieser Form vorher nicht existent.
Wo steht die Dübendorfer Sozialhilfe jetzt?
Ich glaube, dass wir mit den Klienten auf Augenhöhe sind und in deren Sinn und Interesse nach der besten Lösung suchen können. Dies im Rahmen des Gesetzes. Und indem wir die Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe anwenden – und nicht, indem wir eine Komfortzone schaffen, wie das von Aussenstehenden immer wieder behauptet wird. Tatsächlich ist die Missbrauchsquote sehr tief, die Menschen wollen so schnell wie möglich wieder eigenständig sein.
Wie hat sich in der Stadt Dübendorf die Sozialhilfequote entwickelt?
Die neuesten Zahlen stammen aus dem Jahr 2023, da war sie mit 1,5 Prozent auf dem tiefsten Stand seit Beginn der Erhebung Mitte der Nullerjahre. Das liegt aber wahrscheinlich nicht an mir. (Lacht.) Es ist die Konjunktur, die da mit einer gewissen Verzögerung durch drückt. Ein wichtiger Punkt in dieser Entwicklung ist bestimmt auch der immer teurere Wohnraum in Dübendorf, den sich Leute ohne oder mit tiefem Ein kommen nicht mehr leisten können und deshalb woanders hinziehen.
Dafür kommen dann bessere Steuerzahler. Ein Grund zur Freude?
Wenn man nur die finanzpolitische Brille anzieht, könnte man zu dem Schluss kommen. Doch der Stadtrat hat es sich zum Ziel gesetzt, die soziale Durchmischung zu erhalten und zu fördern. Nur wenn alle Bevölkerungsschichten sichtbar sind und die Leute mit unterschiedlichen Hintergründen miteinander in Verbindung kommen, kann ein sozialer Zusammenhalt entstehen.
Schon vor der Administrativuntersuchung gab es immer wieder Kritik am desaströsen Zustand von städtischen Sozialwohnungen und Asylunterkünften. Wie gingen Sie damit um?
Das war etwas vom Ersten, das ich mir angeschaut habe. Und teilweise war die Unterbringungssituation wirklich schwierig. Wir konnten die Situation sukzessive^verbessern, sei es durch Neuanmietungen, Sanierungen – oder indem wir gewisse Mietverhältnisse abgelöst haben. Das ist eine herausfordernde Geschichte und nichts, das man schnell ändern kann.
Hat die Stadt überhaupt ausreichende Möglichkeiten angesichts des angespannten Wohnungsmarkts?
Es wäre einfacher, wenn wir mehr eigene Liegenschaften besässen. Aber ein Nebenaspekt der Dynamik im Wohnungsmarkt ist, dass in die Jahre gekommene Wohnhäuser oft für eine temporäre Nutzung angeboten werden, bevor sie Ersatzneubauten weichen müssen. Diese Objekte können wir dann für ein paar Jahre mieten, was die angespannte Situation, wenn auch nicht nachhaltig, etwas entschärft.
Wenn Sie auf Ihre Zeit als Sozialvorstand zurückblicken: Mussten Sie manchmal härter sein, als Sie es gemäss Ihrem Parteibüchlein sind?
Diese Frage hat sich mir nie gestellt. Wir haben in der Sozialhilfe aufgrund übergeordneter Vorgaben einen sehr kleinen Handlungsspielraum. Die Skos-Richtlinien sind im Kanton Zürich verbindlich, was ich grundsätzlich gut finde. Persönlich halte ich nicht viel von Stellvertreterdiskussionen, etwa, als wir aufgrund einer Einzelinitiative im Parlament über einen Erlass der Serafe-Gebühren für Sozialhilfebezüger debattiert haben. Ich bin absolut dafür, dass über die Höhe des Grundbedarfs für Sozialhilfebezüger gesprochen wird, aber diese Diskussion gehört auf Bundes ebene.
(erschienen im Glattaler vom 26.09.2025)
Mehr Infos zu Ivo Hasler: www.ivohasler.ch